Dienstag, 27. September 2011

Der Alligator ist wieder da!

Es gibt sie doch noch, die guten Nachrichten. Die Alligatorpapiere, über viele Jahre unverzichtbare Informationsquelle für Krimi-Aficionados, sind wieder da! Crimemag und Krimi-Couch.de haben sich zusammengetan, das verdienstvolle Werk Alfred Mierschs fortzusetzen. Tagesaktuelle News zu allen Aspekten des Genres, Links, Blogs - eben alles, was Liebhaber von Spannungsliteratur interessiert - hier ist es zu haben. In neuem Gewand, übersichtlich strukturiert und klug zusammengestellt. Wie haben wir das vermisst! Glückwunsch den Machern dieser wichtigen Seite. Ach, und ja, hier ist er, der Link der Links: http://www.alligatorpapiere.de/.

Dienstag, 20. September 2011

Dominique Manotti, Pete Dexter ("Deadwood"), Patrick Pécherot ("Boulevard der Irren"), Petros Markaris ("Faule Kredite") und "Luke Cage Marvel Noir": Kroegers Krimitipp September 2011

Wer etwas über seine Zeit, seine Gesellschaft und sich selbst herausfinden will, der lese gute Krimis. Vor allem die Noirs der Amerikaner und Franzosen konterkarieren die offiziellen Diskurse, blicken hinter die Fassaden der Eliten und analysieren die verbleibenden Möglichkeiten des Individuums. Aber auch deutschsprachige Schriftsteller – von Friedrich Glauser über Autoren wie Doris Gercke und Frank Göhre bis hin zu der gerade mit dem Bremer Krimipreis ausgezeichneten Elisabeth Herrmann – wären hier zu nennen. Der Kriminalroman des 21. Jahrhunderts sei nichts anderes als die Geschichtsschreibung unserer Zeit, sagt die Französin Dominique Manotti. Ihre bei Argument erschienenen Bücher („Letzte Schicht“, „Roter Glamour“, „Einschlägig bekannt“, jeweils 12,90 Euro) exemplifizieren diese These. Unser Tipp: Kaufen, lesen, lernen – und dabei aufs Beste unterhalten werden.

Der Wilde Westen war nicht so, wie uns „Bonanza“, „Rauchende Colts“ und John-Wayne-Filme glauben machen wollten. Pete Dexters 1986 erschienener, von Kathrin Bielefeldt und Jochen Bürger ins Deutsche übertragener Roman „Deadwood“ (Liebeskind, 448 Seiten, 22 Euro) zeigt das drastisch. Denn das gleichnamige Drecksnest im Dakota-Territorium hat so gar nichts Romantisches an sich. In den Straßen versinkt man knöcheltief im Morast, ungewaschene Huren stinken meilenweit gegen den Wind, glücklose Goldgräber ertränken ihr Elend im Schnaps. Ganz zu schweigen von der rassistischen Arroganz noch des verlumptesten Weißen gegenüber chinesischen Einwanderern und den ihres Landes beraubten Indianern. Armut, Krankheit, Gewalt prägen eine düstere Atmosphäre, die durch die unterkühlt-lakonische Erzählweise umso bedrohlicher wirkte, hätte Dexter (Jahrgang 1943) nicht auch Gespür für die komischen Momente des Lebens. „Deadwood“ ist ein epischer Roman – prall gefüllt mit Geschichten von Menschen aus Fleisch und Blut. Nicht immer appetitlich, aber historisch korrekt und selbst in den größten Derbheiten stilsicher. Die Hauptstory selbst beruht übrigens auf wahren Ereignissen und ist akribisch recherchiert: Es geht um das blutige Ende des alternden Revolverhelden „Wild Bill“ Hickok und den Brand, der Deadwood auslöschte. Doch was am Ende noch stärker im Gedächtnis bleibt, sind die Geschichte einer den Tod überdauernden Freundschaft und einer sich in Vergeblichkeit erfüllenden Liebe. „Er hatte sein eigenes Leben, und er hat es unvollendet gelebt. So etwas gibt es, bei Menschen und bei Orten … Es ist nicht das, was am Ende noch zu tun ist, es sind vielmehr die Dinge, die unterwegs unvollendet geblieben sind“, sagt Hickoks Witwe.  „Deadwood“, so viel steht fest, ist nicht unvollendet geblieben.

Das historiographische Potenzial von Kriminalliteratur belegen auch die Nestor-Burma-Romane des Franzosen Patrick Pécherot (Jahrgang 1953), eine Hommage an die Noir-Klassiker Léo Malets (1909 – 1996). „Boulevard der Irren“ (Nautilus, 256 Seiten, 14,90 Euro; Original: „Boulevard des branques“, Übersetzung: Katja Meintel) schließt die Trilogie ab, deren erster Band „Nebel am Montmartre“ 2002 mit dem Grand Prix de littérature policière ausgezeichnet wurde. Wir schreiben das Jahr 1940: „Nes“ hat eine Leiche am Hals und darf Paris nicht verlassen, während die Bewohner der französischen Hauptstadt aus Angst vor den heranrückenden Deutschen in die Provinz flüchten. Um sich vom Verdacht der Pflichtvergessenheit reinzuwaschen – Nestor sollte den getöteten Psychiatrieprofessor bewachen – recherchieren der Detektiv und seine ihm ergebene Assistentin Yvette im Chaos der untergehenden Dritten Republik nach dem Mörder. Ehemalige Spanien-Kämpfer, die angesichts der Katastrophe den Verstand verlieren, Psychopathen, die vom Anstaltsinsassen zum Gestapo-Kollaborateur avancieren, Psychiater, die das Euthanasie-Programm der Nazis auch in Frankreich auf die Tagesordnung setzen – das Personal des Romans entspricht in seiner Vielfalt dem verwirrenden Verlust bürgerlicher Gewissheiten, den die Invasion der Hitler-Wehrmacht für das französische Selbstverständnis bedeutete. Auch der Leser droht angesichts der Fülle zeitgeschichtlicher Bezüge bisweilen den Überblick zu verlieren – Pécherots Esprit, seine Kunst, mit wenigen Sätzen Atmosphäre zu schaffen, sowie ein Glossar im Anhang sorgen jedoch für ein ebenso interessantes wie nachdrückliches Leseerlebnis.

Springen wir in die Gegenwart: Petros Markaris (Jahrgang 1937) hat den Roman zur aktuellen Situation Griechenlands geschrieben. „Faule Kredite“ (Diogenes, 396 Seiten, 22,90 Euro; Original: „Lexiprothesma daneia“, Übersetzung: Michaela Prinzinger) lautet der programmatische Titel seines jüngsten Kostas-Charitos-Krimis. Der Kommissar muss dieses Mal einen Serienmörder stellen, der es offenbar auf Repräsentanten des Finanzbusiness abgesehen hat. Auch des Dopings überführte Sportler, illegale Immigranten und abgerissene Bettler bevölkern einen Roman, dessen Hauptrolle die griechische Gesellschaft unter dem Diktat von EU- und IWF-Auflagen spielt: Gehalts- und Rentenkürzungen, ein zusammenbrechender Immobilienmarkt und über den Haufen geworfene Lebensplanungen treiben die Menschen zum Protest auf die Straße, sodass die Mordermittlungen im Verkehrsstau stecken zu bleiben drohen … Der Krimi zur Krise – und lehrreicher als jeder Korrespondentenbericht.

Zum Schluss noch ein Leckerbissen für die Liebhaber der Graphic Crime Fiction: In der Marvel-Noir-Version der „Luke Cage“-Figur (Panini, 14,95 Euro) kommt der schwarze Superheld im Harlem der Prohibitionszeit ganz irdisch aus dem Knast nur um festzustellen, dass seine große Liebe spurlos verschwunden ist. Seine ehemaliger Gang-Kumpel ist dagegen zu einer festen Unterweltgröße im Ghetto aufgestiegen und bewahrt ein dunkles Geheimnis. Wen wundert’s, dass düstere Töne mit blutroten Einsprengseln Shawn Martinbroughs großartige Zeichnungen dominieren?

Montag, 19. September 2011

Pete Dexter, "Deadwood": So wa(h)r der Wilde Westen ...

Dass der Wilde Westen nicht so war, wie uns „Bonanza“, „Rauchende Colts“ und John-Wayne-Filme glauben machen wollten, wissen wir schon länger. Pete Dexters 1986 erschienener, von Kathrin Bielefeldt und Jochen Bürger ins Deutsche übertragener Roman „Deadwood“ (Liebeskind, 448 Seiten, 22 Euro) belegt dies aufs Drastischste. Denn das gleichnamige Drecksnest im Dakota-Territorium hat so gar nichts Romantisches an sich. In den Straßen versinkt man knöcheltief im Morast, ungewaschene Huren stinken meilenweit gegen den Wind, glücklose Goldgräber ertränken ihr Elend im Schnaps. Ganz zu schweigen von der rassistischen Arroganz noch des verlumptesten Weißen gegenüber chinesischen Einwanderern und den ihres Landes beraubten Indianern. Armut, Krankheit, Gewalt prägen eine düstere Atmosphäre, die durch die unterkühlt-lakonische Erzählweise umso bedrohlicher wirkte, hätte Dexter (Jahrgang 1943) nicht auch Gespür für die komischen Momente des Lebens. „Deadwood“ ist ein epischer Roman – prall gefüllt mit Geschichten von Menschen aus Fleisch und Blut. Nicht immer appetitlich, aber historisch korrekt und selbst in den größten Derbheiten stilsicher. Die Hauptstory selbst beruht übrigens auf wahren Ereignissen und ist akribisch recherchiert: Es geht um das blutige Ende des alternden Revolverhelden „Wild Bill“ Hickok und den Brand, der Deadwood auslöschte. Doch was am Ende noch stärker im Gedächtnis bleibt, sind die Geschichte einer den Tod überdauernden Freundschaft und einer sich in Vergeblichkeit erfüllenden Liebe. „Er hatte sein eigenes Leben, und er hat es unvollendet gelebt. So etwas gibt es, bei Menschen und bei Orten … Es ist nicht das, was am Ende noch zu tun ist, es sind vielmehr die Dinge, die unterwegs unvollendet geblieben sind“, sagt Hickoks Witwe.  „Deadwood“, so viel steht fest, ist nicht unvollendet geblieben.