Donnerstag, 11. Juli 2013

Marseille und sein Krimi-Poet


Marseille: Die Gangsterhauptstadt Frankreichs lockt in diesem Jahr als Kulturhauptstadt Europas die Touristen. Ein Geheimtipp für Liebhaber war die Hafenmetropole am Mittelmeer schon immer. Wer sie wirklich verstehen will, sollte vielleicht die Romane von Jean-Claude Izzo lesen.
„Woher man auch kommt, in Marseille ist man zu Hause“, schreibt Jean-Claude Izzo. Der Mann muss es wissen, denn Marseille war seine Stadt. Hier wurde er 1945 geboren, hier starb er im Jahr 2000 – dazwischen lebte und liebte er Marseille. Marseille, das war für Izzo, dessen Vater italienischer Herkunft war und dessen Mutter aus Spanien stammte,  „ein Hafen der Exilanten“, eine „offene Tür“, ein Ort für Toleranz und Menschlichkeit, kurz : „Marseille ist meine Weltkultur.“
 
Als Journalist lernte Izzo auch die dunkle Seite der Stadt kennen. Insiderwissen, das sich in Drehbüchern und Romanen niederschlug, von denen die drei Bände „Total Cheops“, „Chourmo“ und „Solea“ die bekanntesten sind.  Izzos „Marseille-Trilogie“, mit Alain Delon in der Hauptrolle verfilmt, erzählt die Geschichte des Polizisten Fabio Montale, der gegen Korruption, Rassismus und organisiertes Verbrechen kämpft.

Montale, der wie Izzo einer Migrantenfamilie entstammt, ist ein Mann der Straße. Ein Flic, der seine Herkunft aus dem ärmlichen Panier-Viertel, dem „alten Herzen von Marseille“, nicht vergessen hat. Auch nicht, dass er als Jugendlicher hier mit Freunden selber ein paar krumme Dinger gedreht hat. Und dass er Verständnis aufbringt für die gegen ihr gesellschaftliches Abseits aufbegehrenden Jugendlichen der Vorstädte, bringt ihn natürlich in Konflikt mit dem Polizeiapparat, bis er schließlich den Dienst quittiert …

Die „Marseille-Trilogie“ ist spannende, temporeiche, glänzend geschriebene Kriminalliteratur in der Tradition von Autoren wie Leonardo Sciascia und dem französischen Neo-Polar Jean-Patrick Manchettes. Sie ist aber auch ein Reiseführer in ein Marseille jenseits der über die Stadt wachenden Notre-Dame de la Garde, „die tagsüber in der Sonne und nachts unter den Scheinwerfern glänzt“. Mit Montale flaniert der Leser nicht nur am Alten Hafen entlang und schlendert über die Canebière, er steigt eben auch ins Panier-Quartier empor. Jenes Viertel, das die Deutschen Izzo zufolge 1943 am liebsten abgerissen hätten, „weil sie es wegen der engen Gassen nicht kontrollieren konnten“.
 
Wer mit Izzo Marseille besucht, wird sich nicht in den Touristenrestaurants neppen lassen. Stattdessen lernt er die wahre Küche der Hafenstadt kennen – in kleinen Lokalen und Garküchen, deren Speisekarten nicht üppig, aber typisch sind. Angefangen bei den „tausend möglichen Rezepten der Bouillabaisse“ über Couscous und nordafrikanische Tajine bis zur Paella oder schlichten Nudeln mit Fleischbällchen. Wichtig ist für Izzo bei Tisch vor allem eines: „Essen ist ein Fest.“ Egal, ob „zu Hause oder im Restaurant, in der Familie oder unter Freunden“. Ein Fest ist für den Genießer auch der Besuch der Märkte mit ihrem „Aufruhr der Sinne“. Dort, wo man die „Seele der Stadt“ findet,  stehen bei Izzo neben Fisch, Fleisch, Gemüse und Kräutern stets drei Dinge auf dem Einkaufszettel: Knoblauch, Basilikum und Rotwein.

Marseille ist für Izzo aber auch eine Stadt der Musik – mit einer ganz eigenen Vielfalt der Genres und Stile. Eine Stadt, die „multikulturell, multirassisch und zwangsläufig multimusikalisch“ ist, hat neben Verdi und Mainstream-Pop eben auch Rap, Raï, Ragga ebenso wie brasilianische Musik, Flamenco-Jazz und italienische Tanzmusik zu bieten. Auch die Montale-Romane sind von einem vielgestaltigen Soundtrack unterlegt – und nicht von ungefähr sind zwei Bände nach Musiktiteln benannt: „Chourmo“ ist ein Album der Marseiller „Massilia Sound System“-Rapper, „Solea“  ein Stück von Miles Davis.
Der schon in den 80ern und frühen 90ern geplanten Modernisierung Marseilles durch zugereiste Stadtplaner und einheimische Geschäftemacher stand Izzo mehr als skeptisch gegenüber. Er tröstete sich damit, „den alten Leuten zuzuhören, die erklären, dass dieses Großprojekt (…) nicht vorankommen wird. Das macht der Wahnsinn dieser Stadt“.  Deshalb wäre der literarische Sohn des alten Marseille sicher nicht mit allem einverstanden gewesen, was unter dem Vorwand des Kulturhauptstadtjahres abgerissen oder neu gebaut wurde. Und er hätte sich geärgert, dass die Jugend der Vorstädte wieder mal von den gigantischen Investitionen kaum profitiert.

Marseille wende dem Kontinent den Rücken zu, die Stadt schaue stattdessen aufs Mittelmeer – das war Izzos Grundüberzeugung. Deshalb hätte er dem spektakulärsten Neubau, dem neuen „Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (MuCEM, Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers) seine Zustimmung wohl nicht völlig verweigert – unter einer Bedingung: dass man aus dem Mittelmeer nicht „eine Grenze zwischen Orient und Okzident macht, zwischen Morgenland und Abendland; und uns von Afrika und Kleinasien abschnürt“.
Allerdings hätte er dem Marseille-Touristen ganz sicher geraten, vor dem Besuch des dem mittelalterlichen Fort Saint-Jean gegenüberliegenden Glasbaus sich zunächst mal im Panier und den anderen Altstadtquartieren treiben zu lassen. Bei einem Pastis in einer der schlichten, aber authentischen Bars, die man hier noch findet, hätte er dann gesagt: „Weißt du, Marseille muss man in sich eindringen lassen.“

Jean-Claude Izzo, „Die Marseille-Trilogie: Total Cheops. Chourmo. Solea”, 669 Seiten, Unionsverlag, 14,95 Euro.

(Text leicht gekürzt erschienen in: Nordsee-Zeitung, 10. Juli 2013, S. 4)

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